Christoph Schnauß


Öffentliches

Pilze Marone

Es gibt so gut wie niemanden, der sich einem Pilzgericht verweigern würde. Sie schmecken ganz einfach zu gut. Erstaunlicherweise können aber mit Ausnahme ausgewiesener Mykologen die wenigsten einigermaßen sicher mehr als vier oder fünf Arten unterscheiden und sind schon überfordert, wenn sie einen Hexenring aus Nelkenschwindlingen sehen. Andrerseits gibt es das geflügelte Wort, daß jemand, der behauptet, alle Pilze zu kennen, ein Aufschneider sein muß.

Ich bin kein Aufschneider, und ich habe auch nicht die Absicht, "noch eine Pilzseite" ins Internet zu stellen. Davon gibt es bereits mehr als genug, darunter sehr anschauenswerte und auch weniger anschauenswerte. Ich gestehe lediglich, daß ich die Pilze mag und seit Jahrzehnten spätestens im Herbst so oft wie möglich zur Pilzsuche in den Wald gehen muß. Ein als Gewohnheit bereits gefestigtes Ritual. Doch: ein bißchen kenne ich mich mittlerweile aus. Und nehme Freunde gerne einmal mit, um ihnen zu zeigen, wie vielfältig das ist, was man getrost sammeln und zuhause zubereiten kann. Und so ist diese Seite eher als Versuch einer kleinen Plauderei zu verstehen denn als irgendwie didaktisch gemeinter Entwurf.

Eine Anekdote gefällig? Ich bin mit einem Freund, einem gebürtigen Syrer, Ende August 2005 ins Osterzgebirge gefahren, um dort für meinen Wein Ebereschen zu ernten. Er konnte nur wegen eines bereits überstandenen Herzinfarkts (immerhin sind wir jetzt, jenseit der 50, keine Jugendlichen mehr) nicht mit mir auf die Bäume klettern, kam aber spontan auf die Idee, dann eben in den Wald gehen und Pilze holen zu wollen. Nach vielleicht 40 Minuten kam er mit fast vollem Korb zurück und hatte größere Mengen von (ungenießbaren) Kartoffelbovisten darin liegen, einige Parasolpilze, wenige Maronen und ganze zwei wunderschöne Pfifferlinge. Die Boviste hatten ihm aufgrund ihrer Wuchsform und wegen ihres Geruchs gefallen, und die Pfifferlinge hatte er nur mitgenommen, um sie mir zu zeigen - er hielt sie wegen ihrer Farbe für giftig, und daß sie in Massen an der Fundstelle herumgestanden hatten, hatte ihn in dieser Ansicht nur bestärkt.

Birkenpilz

Ähnlich (und ähnlich falsch) entscheiden sich sicherlich auch viele andere. Es hält sich beispielsweise hartnäckig die Ansicht, daß Pilze, die lila aussehen, mindestens ungenießbar, wenn nicht gar giftig sein müßten. Das ist Unsinn. Die Farben, mit denen sich ein Pilz präsentiert, sagen überhaupt nichts darüber aus, ob er genießbar oder ungenießbar ist. Und der größte Irrtum, der sich hartnäckig hält, besteht darin, daß Pilze mit einer Röhrenschicht (wie Maronen und Steinpilze) grundsätzlich genießbar und Pilze mit einer Lamellenschicht unter dem Hut grundsätzlich ungenießbar oder gar giftig seien.

Solche Irrtümer kann ich nicht ausräumen, jedenfalls nicht mit einer Website. Sie begegnen mir jedoch oft. Und dann gibt es noch solche diffizilen Fragen, warum im östlichen Sibirien der Kahle Krempling auf den Märkten durchaus als Speisepilz gehandelt werden darf, bei uns in Mitteleuropa aber seit rund drei Jahrzehnten generell als giftig und nicht handelsfähig gilt. Mein Großvater hat noch jedes Jahr kiloweise Kahle Kremplinge aus der Dresdner Heide geholt, und ich erinnere mich, daß die daraus zubereiteten Gerichte meiner Großmutter köstlich waren. Aber auf die Feinheiten, warum wir heute den Kahlen Krempling jedes Jahr mit einer "Hände weg"-Kampagne begleiten (und auch andere schwierigere Fragen) will ich hier ganz bewußt nicht eingehen.

"Pilzsaison" ist eigentlich das ganze Jahr über, es gibt keine Pause. Allerdings wachsen die meisten tatsächlich im August/September/Oktober, so daß diese Monate die erfolgreichste Ausbeute versprechen - wenn es denn genug geregnet hat. Und wenn noch eine Anekdote gefällig ist: ich habe tatsächlich rund zehn Jahre lang den 24. Dezember dazu genutzt, ein letztesmal im Kalenderjahr in die Pilze zu gehen. Zu dieser Zeit gibt es beispielsweise Frostschnecklinge, und die können ein wunderbares Pilzgericht passend zum Heiligabend ergeben.

Parasol

Zu den schmackhaftesten und glücklicherweise in den waldigen Gebieten im Berliner Umland häufig vorkommenden Großpilzen zählt der rechts abgebildete Riesenschirmpilz. Er kann ähnlich wie ein Schnitzel paniert und dann gebraten werden und wird vielleicht gerade aufgrund seiner Größe und Auffälligkeit von sehr vielen Pilzsammlern eigentümlicherweise gemieden. Aber er ist ein großartiges Fotomotiv, das sich denn auch prompt auf allerlei Internetseiten findet.

Von den vielen Internetadressen, die sich (wenn auch nicht immer sehr sachkundig) mit den Pilzen beschäftigen, möchte ich nur eine hervorheben. Das ist eine Fotogalerie, in der nahezu täglich diejenigen Fotografen, die sich auf Pilze spezialisiert haben, ihre Fotos zur Diskussion stellen. Es gibt dort immer wieder außerordentlich gute, präzise und oftmals wunderschöne Fotos zu bestaunen.

Noch eine dritte Anekdote (die eher als Anregung gemeint ist): etwa Mitte September erscheinen vorzugsweise in sandigen Kiefernwäldern die sehr großen Fruchtkörper des leider ungenießbaren Wolligen Milchlings. Manche nennen ihn "Erdschieber", was damit zu tun hat, daß sich in den schüsselförmigen Pilzhüten immer sehr viel Waldboden befindet, den er bei seinem rasanten Wachstum emporhebt. Ich habe einmal zwei wirklich sehr große Pilze dieser Art mitgenommen, sie gründlich gesäubert, zwei Tage lang im Kühlschrank liegen lassen und sie schließlich tatsächlich als "Teller" für ein Pilzragout benutzt. Ich wollte eine Besucherin überraschen und beeindrucken. Das ist mir auch gelungen.

Machen Sie das nach, wenn Sie auch jemanden verblüffen wollen. Und denken Sie daran: ein Pilz, den Sie nicht kennen oder erkennen, sollte stehenbleiben dürfen, man muß ihn nicht, aus welcher Frustration heraus auch immer, zertreten. Der nächste Pilzsucher, der ihn vielleicht besser kennt, nimmt ihn eventuell mit - oder in der Dämmerung freuen sich Rehe oder Wildschweine darüber, noch etwas Eßbares gefunden zu haben.

Grauer Wulstling

Hätten Sie denn gedacht, daß man den links abgebildeten Pilz essen könnte? Nein? Irrtum - das ist ein Grauer Wulstling. Zwar gehört er mit Fliegenpilz und Knollenblätterpilz zur selben Familie, ist aber genauso wie der Perlpilz und der Scheidenstreifling ein guter Speisepilz, obwohl er dem meist tödlich giftigen Pantherpilz (der zur selben Familie gehört) nun wirklich zum Verwechseln ähnlich sieht. Bedauerlicherweise ist auf meinem Foto das einzige wirklich sichere äußere Unterscheidungsmerkmal, nämlich die zarten Rillen in der deutlich sichtbaren um den Stiel liegenden Manschette, nicht erkennbar. Es war allerdings vorhanden, und Sie dürfen mir glauben, daß ich diesen Pilz, den ich entgegen der Aussagen einiger Pilzbücher sogar für einen hochwertigen Speisepilz halte, mit Genuß verspeist habe (nachdem das Foto gemacht worden war). Leider ist der Graue Wulstling ziemlich selten, und ihn zu finden ist ein ausgesprochener Glücksfall. Für seine Verwandtschaft kann er schließlich nichts ;-)

Übrigens gibt es seit 1994 in Deutschland auch einen Pilz des Jahres - genauso, wie es einen Baum des Jahres und einen Vogel des Jahres gibt. Der Graue Wulstling war es noch nicht, aber der (braune) Fliegenpilz war es schon - im Jahr 2000.

 

fraktale Grafik